Theorie: die technischen Bilder

Theorie: die technischen Bilder

Flusser gehöhrt zu den Autoren, die es wagen, den neuen Medien und Bildern mit einer "ganzheitlichen" Theorie entgegenzutreten. Nicht nur die Medien sind neu, sondern mit diesen transformiert oder besser verwirklicht sich eine bestimmte Gesellschfts- und Existenzform, die bisher technisch noch nicht realisierbar war. Man kann bei Flusser daher von einer Ontologie des technischen Bildes (zu dem auch schon das fotografische Bild gezählt werden kann) sprechen, denn die Medien beeinflußen offenbar entscheidend die "Seinsweise" der Welt.
Ein erster Schritt besteht in der Feststellung, daß die Welt mit der Verbreitung der digitalen Bilder nun selbst digitalisierbar, d.h. kalkulierbar geworden ist. Zur Kalkulation der Welt haben wir Apparate, denen das Subjekt gewissermaßen angeschlossen ist. Der Mensch ist eine Verlängerung dieser Apparate (gemäß der These von Mc Luhan, nach der die Medien die Verlängerung menschlicher Funktionen darstellen). Zur Veranschaulichung der Entwicklung zu einer immer stärkeren Verschränkung von Mensch und Maschine möchte ich kurz Flussers strukturgeschichtliches Verlaufsmodell darstellen.

1. Stufe: Der Mensch befindet sich in einer vierdimensionalen Raumzeit, in der er sich noch nicht als Subjekt wahrnimmt, der Welt des nur konkreten Erlebens.
2. Stufe: Die Verwendung der Hand trennt Subjekt vom Objekt, der Mensch nimmt Gegenstände wahr, die Welt wird dreidimensional. Kultur entsteht, da der Mensch zwischen sich und der Umwelt unterscheiden kann. (z.B. geschnitzte Figuren)
3. Stufe: Die traditionellen zweidimensionalen Bilder entstehen, da der Mensch zwischen den einzelnen Elementen seiner Umwelt Zusammenhänge herstellen kann. Es entsteht ein imaginiertes Universum (Höhlenmaerei).
4. Stufe: Mit dem linearen Text gibt es eine weitere Vermittlungszone, die auf Begreifen, Erzählen und Historizität beruht. Die Vorstellungen werden in Begriffe gefaßt, die Fläche wird zur Zeile (Homer und die Bibel).
5. Stufe: Die technischen Bilder zerlegen denText in komputierbare Punkte. Der lineare Text wir arbitären "orthographischen" Regeln unterworfen, die auch anders sein könnten. Damit fallen die Begriffe auseinander und wir haben es im folgenden mit Punktelementen, "nulldimensionalen Informationsbits" zu tun. Diese können zu scheinbaren Bildern oder Begriffen komputiert oder "eingebildet" werden.

Das Subjekt wird in dieser Welt mit den Apparaten geradezu verschmelzen, die Gesellschaft ist nur noch ein gigantischer (und unendlich parzellierter) Dialog, in der das "Ich" zu einem Knotenpunkt von dialogischen Fäden wird, in der bis zur Ununterscheidbarkeit von senden und empfangen, gesendet und empfangen wird. Die Kreativität (und der Mensch tut nichts anderes mehr als kreativ zu sein) ist das Einbilden auf (dem) Grund vorhandener, in Apparaten gespeicherter Informationen. Vom Mc Luhanschen kosmischen Dorf geht es in Flussers kosmisches Gehirn, in dem durch "Tasten" beliebige (aber immer zum Dialog fähige) Informationen zusammengebracht werden. Aus den Subjekten werden Projekte alternativer Welten, der Mensch existiert nicht mehr außerhalb der Programme.
Flusser geht also nicht mehr davon aus, daß die Welt entziffert oder gelsen werden muß, sondern daß sie gewissermaßen von innen heraus entworfen wird (nicht Spiegelung sondern Projektion). Der Mensch löst sich von der Verhaftung und dem Glauben an die Gegenstände und partizipiert an einer ständigen kreativen Neuerschaffung der platonschen Ideenwelt, in die er zugleich bis zur Ununterscheidbarkeit aufgeht

(Dieser Text wurde mit freundlicher Unterstützung von Oliver Fahle veröffentlicht)

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